gelesenes

Die Fahrende

Alle Eisenbahnen dampfen in meine Hände,
Alle großen Häfen schaukeln Schiffe für mich,
Alle Wanderstraßen stürzen fort ins Gelände,
Nehmen Abschied hier; denn am andern Ende,
Fröhlich sie zu grüßen, lächelnd stehe ich.

Könnt ich einen Zipfel dieser Welt erst packen,
Fänd ich auch die drei andern, knotete das Tuch,
Hängt es auf einen Stecken, trügs an meinem Nacken,
Drin die Erdkugel mit geröteten Backen,
Mit den braunen Kernen und Kalvillgeruch.

Schwere eherne Gitter rasseln fern meinen Namen,
Meine Schritte bespitzelt lauernd ein buckliges Haus;
Weit verirrte Bilder kehren rück in den Rahmen,
Und des Blinden Sehnsucht und die Wünsche des Lahmen
Schöpft mein Reisebericht, trinke ich durstig aus.

Nackte, kämpfende Arme pflüg ich durch tiefe Seen,
In mein leuchtendes Auge zieh ich den Himmel ein.
Irgendwann wird es Zeit, still am Weiser zu stehen,
Schmalen Vorrat zu sichten, zögernd heimzugehen,
Nichts als Sand in den Schuhen Kommender zu sein.

(Gertrud Kolmar Dıe Fahrende)

restless

I cannot rest from travel: I will drink
Life to the lees: All times I have enjoy’d
Greatly, have suffer’d greatly, both with those
That loved me, and alone, on shore, and when
Thro’ scudding drifts the rainy Hyades
Vext the dim sea: I am become a name;
[...]
I am a part of all that I have met

(Lord Tennyson Ulysses)

moi, j'ai rêvée de toi aujourd'hui

"I dreamed of you
every, everyday
everyday
and every night"

(Soap & Skin, Brother of Sleep)
_________

Le Dernier Poème

J’ai rêvé tellement fort de toi,
J’ai tellement marché, tellement parlé,
Tellement aimé ton ombre,
Qu’il ne me reste plus rien de toi.

Il me reste d’être l’ombre parmi les ombres
D’être cent fois plus ombre que l’ombre
D’être l’ombre qui viendra et reviendra dans ta vie ensoleillée


(Robert Desnos)

cordelia

Dasselbe geschieht sowieso nicht zweimal, insofern ist alles Geschehen, wie jeder Mensch und sogar jeder Hund, einmalig. Abgekapselte Monaden wären wir, gäbe es nicht den Vergleich und die Unterscheidung, Brücken von Einmaligkeit zu Einmaligkeit.

(Ruth Klüger, weiter leben)
______________

Wir, die wir schon sehr früh, vielleicht schon im Mutterleib, aus dem Schoß des Lebens fielen.

Wir lernen niemals mit leichtem und doch festem Schritt zu gehen, wie jene, die wissen, daß sie festen Boden unter den Füßen haben. Wir bringen es nie fertig, uns treiben, uns vom Rhythmus des Stroms tragen, uns wiegen zu lassen von Ebbe und Flut. Wir kommen stets aus dem Takt, wie schlechte Tänzer stolpern wir über eigene und fremde Füße. Wir können auch keine Umwege machen, unsere selbstauferlegte Sisyphosarbeit befiehlt uns, jedes Hindernis zu nehmen, jeden Stein auf dem Weg aufzuheben - aber natürlich ekeln wir uns dabei vor Kellerasseln und schaudern vor den Gebeinen der Toten. Doch unserer Aufgabe, Schmutz bei uns und anderen aufzuspüren und über die saubergekratzten Zeichen der Vergangenheit nachzudenken, bleiben wir treu.

Wir finden nie eine dauernde Bleibe. Ist es Morgen, sehnen wir uns nach der barmherzigen Dunkelheit des Abends, und am Abend fürchten wir die schwitzenden Alpträume der Nacht. Mögen wir uns auch mit der Rüstung des Willens - und dem Schild häufig recht ansehnlicher Fähigkeiten - panzern oder uns die bunte Narrenkappe aufsetzen und lustig mit unsren Schellen klingeln, wir wissen dennoch, unsere Siege können andere täuschen, aber nie uns selber. Der Ausgang des Zweikampfes steht fest.

Es muß auch gesagt werden, daß wir nicht ermüden. Hartnäckig klammern wir uns an das Schürzenband des Lebens. Man schleift uns über Dornen, Disteln und scharfe Steine, der Mund wird uns verstopft mit Wüstensand, wir würden ohnehin nicht schreien, wir sind bedeckt von kleinen, infizierten Wunden, aber wir geben nicht auf. Wir sind ja so tapfer. Wir lassen nicht locker, denn wir haben gelernt, wer fällt, fällt weiter, fällt und fällt - in das bodenlose, das namenlose Nichts.

(Cordelia Edvardson Die Welt zusammenfügen)

im sprechen freiheit

Bis ich mich, an einem Spätnachmittag, wiederfand, unter den Bäumen der Allee auf dem Damm in der Mitte der Seine, und meine Dimensionen zurückgewann. [...] Was sich an diesem Abend auf dem Seinedamm zeigte, war nicht ein Weg, oder ein Wissen, ich hatte keinen Begriff von diesem Dasein gewonnen, hatte keine Absichten, ich spürte nur die Klarheit der Luft, spürte, wie ich dastand und atmete, und daß ich aus der Umnachtung, in die mich der Schock der Freiheit geworfen hatte, herausgeraten war.

Die Freiheit war noch vorhanden, doch ich hatte Boden in ihr gewonnen, sie war keine Leere mehr, in der ich im Alptraum der Anonymität lag und in der alle Bezeichnungen ihren Sinn verloren, es war eine Freiheit, in der ich jedem Ding einen Namen geben konnte. Ich hatte nur den Blickpunkt geändert. [...] Die Freiheit war absolut, ich konnte mich darin verlieren und ich konnte mich darin wiederfinden, ich konnte alles aufgeben, alle Bestrebungen, alle Zusammengehörigkeit, und ich konnte wieder beginnen zu sprechen. [...]

Und wenn es schwer war, an Worte und Bilder heranzukommen, so war es nicht deshalb, weil ich nirgends hingehörte, und keine Verständigungsmöglichkeiten erkennen konnte, sondern nur deshalb, weil manche Worte und Bilder so tief lagen, daß sie erst lange gesucht, abgetastet und miteinander verglichen werden mußten, ehe sie ein Material hergaben, das sich mitteilen ließ. An diesem Abend, im Frühjahr 1947, auf dem Seinedamm in Paris, im Alter von dreißig Jahren, sah ich, daß ich teilhaben konnte an einem Austausch von Gedanken, der ringsum stattfand, an kein Land gebunden.

(Peter Weiss Fluchtpunkt)

diese nacht

Diese Nacht
ging ich eine dunkle Nebenstraße
um die Ecke
Da legte sich mein Schatten
in meinen Arm
Dieses ermüdete Kleidungsstück
wollte getragen werden
und die Farbe Nichts sprach mich an:
Du bist jenseits!


(Nelly Sachs, Fahrt ins Staublose)

Ich habe dich wiedergesehn

Ich habe dich wiedergesehn,
Rauch hat dich gezeichnet,
den Mantel der Verpuppung
aus sterbender Substanz
warfst du ab,
eine untergegangene Sonne,
am Faden deiner Liebe
leuchtete die Nacht auf,
die sich hob
wie einer Schwalbenschwinge
vorgefalteter Flug.
Ich habe einen Halm des Windes gefaßt,
eine Sternschnuppe hing daran -


(Nelly Sachs, In Ohnmacht hinterm Augenlid)

Aktuelle Beiträge

th'is the summer
today, on my way home, shades of grey in the sky, the...
slowberrine - 16. Aug, 20:09
the silent adieu
Manchmal möchte ich dich fragen: Weißt du noch, an...
slowberrine - 21. Mär, 17:39
the résumé
Schon seit Tagen fehlen mir die Worte, um die Reise...
slowberrine - 17. Mär, 22:29
Die Fahrende
Alle Eisenbahnen dampfen in meine Hände, Alle großen...
slowberrine - 25. Jan, 16:03
i sold my soul to fugacious...
Ich will den Kapitalismus lieben, ich will und kann...
slowberrine - 31. Okt, 15:42

gelesenes
lyrics
tipps
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren